Als die Idee von einem Interview für dieses Magazin aufkam, waren wir schnell entschlossen,
Andreas Müller und Konstantin Achinger einzuladen, da beide ihre ersten Schritte bei den Jusos Siwi
gemacht und es anschließend auf zwei verschiedenen Ebenen in verantwortungsvolle Ämter
geschafft haben. Andreas Müller (geboren 1983 in Siegen) ist seit 2014 Landrat des Kreises SiegenWittgenstein. Er trat 2000 in die SPD ein und war von 2008 bis 2011 Vorsitzender des Jusos SiegenWittgenstein. Konstantin Achinger (geboren 1995 in Marburg) war von 2020 bis September 2022
Landesvorsitzender der Jusos in NRW. Er trat 2009 bei den Jusos ein und war von 2011-2013 Mitglied
des Vorstandes der Jusos Siegen-Wittgenstein. Von 2017-2019 war er als Vorsitzender der Jusos
Münster aktiv. Wie war ihre Zeit als Jusos, wie hat sie sie geprägt? Und wie schaffen sie den Spagat
zwischen den eigenen Idealen & Visionen und dem alltäglichen politischen Geschäft? Wie
unterschiedlich sind eigentlich die Sichtweisen & Perspektiven auf Politik zwischen einem Landrat
und einem ehemaligen Juso-Landesvorsitzenden? Ziel des Interviews sollte es sein diese Fragen zu
beantworten, Interesse für die Arbeit bei den Jusos zu wecken und aufzuzeigen, wo diese auch
hinführen kann. Das Interview führte Daniel Stettner als aktueller Vorsitzender der Jusos Siegen Wittgenstein.

Daniel: Fangen wir mal mit einer ganz einfachen Frage an: Wie seid ihr zur SPD und den Jusos
gekommen?

Konstantin: Ich bin 2009 erst zu den Jusos gekommen, ich war sogar drei Jahre bei den Jusos, bevor
ich dann 2012 der SPD eingetreten bin. Meine erste SPD-Veranstaltung war in Bad Berleburg zum
Thema Schulpolitik, da hatte die SPD pfiffiger weise die Schulen angeschrieben und innerhalb der
Schüler*innenvertretung ist das dann direkt an mich weitergegeben worden, nach dem Motto : Nerv
mal da, wenn du hier schon nervst“. Und der damalige Juso-Vorsitzende hatte mich dort dann direkt
zum Juso-Sommercamp eingeladen, auf der Mitgliederversammlung bin ich dann im Vorstand
gelandet und habe da mitgearbeitet und das hat direkt sehr viel Spaß gemacht. Bei der SPD bin ich
dann erst 2012 eingetreten.

Andreas: Ich bin zuerst bei der SPD gelandet, vll. hat mich das nachhaltig für Kommunalpolitik
geprägt (lacht). Ich bin auch über den Weg „Schule“ in der Partei gelandet, das eint ja ganz viele. Ich
war in der 10. Klasse Schülersprecher einer Gesamtschule im benachbarten Hessen und als die Schule
drohte zu Ende zu gehen, habe ich mich gefragt: Was mach ich denn dann so mit meinem
Engagement für Schule, Schullandschaft und so ein bisschen drum herum für junge Leute? Ich bin
dann durch die Ortsvereine der Parteien bei mir vor Ort getingelt. Eigentlich wollte ich ursprünglich
in die häusliche Opposition gehen, weil mein Vater schon in der SPD war und ist und mein Großvater
auch schon Gewerkschafter, habe ich gedacht, ich könnte da irgendwie die Revolution einführen und
sagen ich boykottiere alles, was die machen, hat aber dann am Ende nicht geklappt. Ich bin erst in
den SPD-Ortsverein eingetreten und an dem Abend, wo ich meinen Beitritt erklärt habe, bei der
Mitgliederversammlung direkt zum Bildungsobmann des Ortsvereinsvorstandes gewählt worden. Da
war ich total stolz, das erste Mal guten Tag sagen und dann direkt in Verantwortung kommen, das
fand ich großartig. Dann habe ich erst beim Gemeindeverband vorbeigeschaut, wurde Sachkundiger
Bürger der Ratsfraktion, bevor ich die erste Juso Veranstaltung in Siegen vom Unterbezirk besucht
habe.

Daniel: Kann ich mir das dann so vorstellen: Ihr kommt zu eurer ersten Sitzung, der Altersschnitt
liegt bei 70 und ihr fragt euch erstmal, wo bin ich hier gelandet?
Andreas: Der Altersschnitt lag bei 60, wenn wir fair bleiben (lacht), aber ich glaube ich habe mich das
nicht gefragt, weil ich natürlich ganz viele kannte aus dem Dorfzusammenhang und ich ungefähr
wusste, wer denn jetzt so ungefähr da sein würde. Ich habe mir weniger Gedanken dazu gemacht,
was sind das jetzt alles für alte Leute, sondern das waren „die Erwachsenen“, also mein
Grundschuldirektor, die Grundschullehrerin, das Ratsmitglied, die Erzieherin, der
Heimatvereinsvorsitzender, also irgendwie auch teils prägende erwachsenen Figuren meines
bisherigen Lebens. Meine Wahrnehmung war, deswegen habe ich das eben auch mit der Wahl so
betont, man ist da hingekommen und ist sofort ernst genommen worden von Leuten, die so
hierarchisch gefühlt über einem standen und das hat mir mehr imponiert als darüber nachzudenken,
wie alt die alle sind.

Konstantin: Das kann ich voll bestätigen, bei mir waren es mit einer Ausnahme nur Männer und der
Altersschnitt war auch bei 60, aber ich habe nicht gedacht, das sind alles nur alte, weiße Männer,
sondern ich fand es toll, dass man sofort anerkannt wurde und gesagt wurde: Du bist einer von uns,
du gehörst zu uns, das fand ich beeindruckend. Beeindruckend fand ich auch, dass die das Gegenteil
von Karrieristen waren, weil die trotz ihres Alters immer noch so viel Zeit und Herzblut darein
gesteckt haben, den Laden am Laufen zu halten. Es hat Spaß gemacht da mitzumachen, wir haben
miteinander viel diskutiert und eher im kleinen Dinge bewegt, aber das fand ich wichtig, weil ich
gemerkt habe, dass das Gemeinschaft prägt. Es war toll, dass diese Menschen die Fahne
hochgehalten haben, ohne dass sie davon direkt einen Vorteil hatten, weil sie nichts mehr werden
wollten.

Daniel: Das Gefühl direkt Verantwortung übernehmen zu können war also ein gutes, weil man
nicht erstmal Plakate kleben musste, sondern weil man direkt integriert und ernst genommen
wurde?

Andreas: Also ich kenne diese Ochsentour Geschichten und die hat man ja selbst auch irgendwie
mitgemacht, aber es war ein sowohl als auch, so kann man es denke ich beschreiben. Es gab sowohl
Diskussionen über die großen Fragen und die Bundespolitik, was einen als jungen Menschen
natürlich besonders interessiert, aber es gab eben auch sehr konkretes. Wir haben ganz praktisch
Müll gesammelt, Hecken gepflanzt und Haltestellen gereinigt, da gehörte im Wahlkampf natürlich
auch Plakate kleben dazu, aber eben nicht nur, es gab nie den Hinweis, du musst jetzt erstmal dies
und das machen, bevor du hier richtig mitreden darfst. Ich durfte sehr schnell zur Fraktion, wurde
Sachkundiger Bürger und schnell wurde ich auch gefragt, ob ich mir mit meinem Ratsmandat nicht
auch mehr vorstellen kann. Ich war da ja noch nicht mal 20 und damit natürlich weit ab von allen
anderen Altersdurchschnitten, alle anderen waren mindestens doppelt so alt. Das hat mich aber
nicht gestört, denn der Kern war glaube ich, dass man ernst genommen wurde und direkt die
Einladung bekam Verantwortung zu übernehmen und eben nicht die Geschichte zu hören bekam:
„Du darfst jetzt erstmal 10 Jahre Plakate kleben und dann gucken wir weiter“, das habe ich so nie
erfahren.

Daniel: Wie würdet ihr das Gefälle zwischen den Jusos und der SPD beschreiben? Wie habt ihr euch
bei den Jusos gefühlt und wie beim Ortsverein?

Konstantin: Eine spannende Frage, über den Ortsverein haben wir ja gesprochen, da kann ich nur
unterstreichen, was Andreas gesagt hat. Bei den Jusos hingegen hatte man mehr Freiheit, also es war
ein großes Spielfeld wo man machen konnte was man wollte, denn es war halt auch niemand
anderes da, man musste selbst machen, es war also auch eine größere Verantwortung, aber eben
auch eine größere Freiheit. Ich bin sehr nett aufgenommen waren, insbesondere weil ich in der
Rückschau sagen muss, dass ich damals glaube ein sehr neunmalkluger Typ war, ich hatte Abi und
meinte, ich hätte die Welt verstanden (lacht). Wir haben auf Vorstandssitzungen dann überlegt was
kann man machen, das waren einmal so konkrete Aktionen wie Waffeln verkaufen, bis hin zu
politischen Grundsatzdiskussionen, wo man Veranstaltungen zu gemacht hat. Zwischenmenschlich
war das natürlich auch etwas anderes, wir haben zum Beispiel deutlich mehr gesoffen (lacht), wobei
man sich im Ortsverein natürlich auch mal in einer Kneipe getroffen hat, das war auch sehr schön. Im
Ortsverein musste man halt öfter mal die ein oder andere Idee fallen lassen oder gegen mehr
Widerstände kämpfen, bei den Jusos hingegen war eine größere Offenheit für fixe Ideen da. Mir hat
beides sehr gefallen, das waren die unterschiedlichsten Sachen, aber die Anerkennung, die man im
Ortsverein erfahren hat, war großartig, da saß zum Beispiel dann auch mein ehemaliger
Gymnasiallehrer und der war natürlich Respektsperson.

Daniel: Wie lief es bei dir Andreas? Du bist dann später zu den Jusos gekommen?

Andreas: Also ich muss sagen, vor Ort in Burbach gab es keine Jusos und deswegen war meine
Anknüpfung direkt beim Unterbezirk. Das war nochmal etwas anderes, wenn man sich nicht wie
beim Ortsverein öfter trifft und näher kennt. Mein erster Eindruck bei den Jusos war, dass das ein
sehr theoretischer Haufen war. Die haben sich im Jusokeller an der Alche getroffen, im Parteibüro
was es heute nicht mehr gibt, und das praxisnächste war, wenn dann mal die frischgewählte Juso Bundestagsabgeordnete im Keller war, ansonsten fühlte ich mich da zeitweise wie in einem
marxistischen Lesezirkel (Konstantin und Daniel lachen). Ich konnte da nichts mit anfangen, dafür war
ich nicht theoretisch geprägt genug und das änderte sich erst mit der Zeit so ein bisschen, als die
Jusos auf Unterbezirksebene versucht haben die Theorie mit der Praxis zu verbinden. Vorher wurden
immer nur die Nöte der Welt diskutiert, unter Weltfrieden ging es ja häufig nicht. Später hat man sich
dann auch mal auf regionale Geschichten eingelassen und beispielweise versucht mit einem
alternativen Stadtrundgang die mega Themen auf die örtliche Ebene runterzubrechen. Man hat dann
eben nicht nur theoretisch über Antisemitismus, Rassismus und Extremismus gesprochen, sondern
dass z.B. auch mal mit einem Besuch im aktiven Museum, mit einem Stadtrundgang oder mit einem
Besuch des Hermelsbacher Friedhofes verbunden. Ab diesem Zeitpunkt fand ich die Jusos für mich
persönlich näher und greifbarer und habe dann auch Bock bekommen da mitzumachen. Ich bin dann
schnell in den Unterbezirksvorstand gekommen und habe versucht, die Idee von Gemeinschaft auf
der einen Seite, zum Beispiel ein theoretischer Austausch mit einem prominenten Akteur, in
Handlungsalternativen auf der anderen Seite zu bekommen. Wenn wir also über Armut sprechen,
dann gibt es dazu auch die Waffelback Aktion in der Obdachlosenunterkunft zur Weihnachtszeit. Das
war immer mein Versuch und Ansatz, das gab dann auch viel Zuspruch und dann hatten wir echt eine
gute Zeit, das hat richtig Spaß gemacht. Aber ich hatte erst Zugangsprobleme, weil die Leute, die
damals bei den Jusos aktiv waren, haben heute alle Doktoren und Professorentitel, also der Weg von
denen ist auch so weitergegangen, aber damals fehlte mir der Zugang. Ich war kein Abiturient, ich
war in einer kaufmännischen Ausbildung, ich hatte eine andere Lebensrealität als diejenigen die von
Schule zu Hochschule gegangen sind und sich sehr wissenschaftlich den Fragestellungen genähert
haben. Das war mir völlig fremd und ich habe dann immer gefragt: Was machen wir denn jetzt damit,
wie ändern wir das, was ist denn jetzt die Aktion, die daraus folgt?

Daniel: Hast du dich in diesen marxistischen Lesezirkeln denn ein bisschen wohler gefühlt
Konstantin?

Andreas (lacht): Das war jetzt eben etwas überspitzt formuliert.

Konstantin: Ich glaube als ich zu den Jusos kam, hat Andreas sich langsam verabschiedet aus dem
aktiven Amt, ich würde aber trotzdem sagen, dass wir diesen Ansatz so fortgesetzt haben, deswegen
kann man das als großen Verdienst von Andreas beschreiben, für den ich sehr dankbar bin. In
Münster habe ich ja den anderen Teil kennengelernt, da war es dann wieder mehr akademisch
geprägt, Lesekreise haben wir dann erst später gemacht, die waren auch schön, aber das war einfach
wieder eine ganz andere Welt. Ich finde es toll beides kennengelernt zu haben und für den Anfang
fand ich es in Siegen-Wittgenstein super. Wir haben sehr viel diskutiert, nur eben mit dem Punkt:
Was heißt das jetzt, was folgt auf einer anderen Ebene daraus? Ich war ja auch beim bisher letzten
Juso Sommercamp dabei, wo wir dann neben vielen Diskussionen mit Parteiprominenz, auch viel
Spaß miteinander gehabt haben. Das kommt glaube ich manchmal zu kurz, wenn ich mir so manche
Juso-Unterbezirke angucke, die halt auch immer viel diskutieren, aber eben den
Gemeinschaftsaspekt vernachlässigen. Dabei ist dieser Aspekt gerade am Anfang, wo man neu
irgendwo hinkommt, etwas machen will, aber auch die schönen Seiten des Engagements
kennenlernen sollte, ganz wichtig und das fällt bei manchen zu sehr hinten runter. Ich fand es immer
toll beide Welten kennengelernt zu haben, die unterschiedlichen Bedingungen unter denen Juso
Engagement stattfindet, dass es in Siegen-Wittgenstein eben etwas völlig anderes ist, als dann in
Münster, wo du jede Woche 20-25 Leute zur Verfügung hast. In der Stadt und auf dem Land sind
eben einfach völlig unterschiedliche Arten zu arbeiten. Mich hat das hin zur Arbeit im Landesvorsitz
sehr geprägt, weil ich immer wusste, dass der Landesverband eben mindestens beides ist und
unterschiedliche Bedingungen hat, weil er so groß ist und große Unterschiede hat, deswegen war die
Zeit in Siegen-Wittgenstein für mich super bereichernd.

Daniel: Jetzt haben wir ja schon gut herausgearbeitet, wie unterschiedlich Juso-Arbeit sein kann,
doch wie sieht es mit dem eigenen Selbstverständnis als Juso aus? Nicht umsonst heißen die Jusos
Jungsozialist*innen in der SPD und nicht einfach nur Jugendorganisation der SPD, man sieht sich als
eigenständiger Richtungsverband, der eben auch die ganz großen Ziele vor Augen hat, das als
sinnstiftende Identität für sich selbst wahrnimmt und natürlich auch nach außen hin mit dem großen
Ziel des demokratischen Sozialismus vertritt. Trotzdem ist es ja nun so, dass nur weil ich mich jetzt
demokratischer Sozialist nenne, deswegen in Siegen-Wittgenstein noch kein einziger Bus zusätzlich
fährt. Bringen die großen Ziele der Jusos sie wirklich konkret vor Ort nach vorne, oder ist das alles nur
Laberei, weil es an der Realität scheitert?

Andreas: Aus meiner Sicht besteht die Gefahr, dass es zur Laberei wird. Es gibt immer mal wieder
Phasen, sowohl bei der SPD als auch bei den Jusos, wo das konkrete Packende vergessen wird am
Ende, also alles in der theoretischen Diskussion verbleibt. Ich glaube, wir brauchen beides, völlig klar.
Aber wenn wir theoretisch diskutieren und das nicht ins praktische Handeln mündet, dann ist das ein
Problem. Auch die Arbeit in die SPD hinein kann praktisches Handeln sein, wenn man Anträge auf
dem nächsten Unterbezirks-Parteitag zur Positionsbestimmung einbringt oder Änderungsanträge
schreibt, ich hatte zum Beispiel auch immer große Wortanteile auf Parteitagen, also es ist jetzt nicht
so, als ob wir uns daran nicht beteiligt hätten. Aber ich sehe immer die Gefahr, dass es theoretisch
bleibt. Nehmen wir mal, dass von Konstantin und mir geliebte Gremium aus den letzten Monaten,
den Landesvorstand der NRW SPD, da nutzt es nichts auf der Stelle immer wieder neu dasselbe zu
diskutieren, wenn man nicht eine gemeinsame Zielsetzung damit verbindet und das in politisches
Handeln, das kann ja auch ein Programm sein, münden lässt, ich bin da glaube ich immer ein Mahner
gewesen, der gesagt hat: Und jetzt was damit? Ja wir brauchen beides, aber es sollte nicht nur
Laberei bleiben. Ich glaube wir haben beide Zielgruppen, die wir bedienen müssen, also Menschen,
die auf diesen beiden unterschiedlichen wegen zu uns kommen, einerseits aufgrund des Wunschs die
konkreten Lebensbedingungen im Wohnort Umfeld zu verbessern und andererseits die, die sich den
großen Fragen verschrieben haben und an diesen idealen Vorstellungen weiterdiskutieren wollen.
Um diese beiden Gruppen zusammenzubringen, muss bei der Diskussion des ideellen Bildes aus
meiner Sicht immer am Ende der Diskussion auch die Frage beantwortet werden: Und wie kommen
wir diesem Idealbild einen Schritt näher? Wenn das nicht mehr stattfindet, sehe ich darin eine
Gefahr, also nicht grundsätzlich, sondern nur wenn der aus meiner Sicht notwendige letzte Schritt
vergessen wird und da gibt es immer mal Phasen in verantwortlichen Zirkeln, die diesen Schritt nicht
mehr vor Augen haben.

Konstantin: Ja ich glaube wir sind da gar nicht so weit auseinander. Ich bin sehr dankbar für die
vernünftige politische Sozialisation, die ich erfahren habe, auch durch Juso-Bildungsarbeit. Diese
Arbeit fand ich immer wichtig und hat mich auch generell als Mensch weitergebracht in den letzten
Jahren, das war immer ein super Angebot und für mich ist ein großer Teil von Juso Arbeit die
Bildungsarbeit, die miteinander gemacht wird und diese hat mir selbst auch immer mit am meisten
Spaß gemacht. Ich glaube aber trotzdem, das ist auch so ein bisschen die Entwicklung, die mir bei
den Jusos Sorgen bereitet, dass wir als Jusos immer ganz stark sind, wenn wir Dinge tun, die kein
Selbstzweck sind, die wir nicht für uns selbst veranstalten. Sondern man sollte immer mit dem Punkt
rausgehen, das klingt jetzt fast schon konservativ (lacht), das Leben der Menschen zu verbessern, das
zusammenzubringen ist glaube ich ganz wichtig. Für mich ist der demokratische Sozialismus eben
nicht nur eine Worthülse, sondern er bedeutet relativ runtergebrochen: Haben alle Menschen die
Möglichkeit, das Leben zu führen, was sie führen möchten? Das buchstabiert sich an verschiedenen
Punkten aus, das buchstabiert sich bspw. an der Vermögensverteilung aus, ich glaube da ist es ganz
wichtig sich die gesellschaftlichen Realitäten vor Augen zu führen, gerade jetzt im Herbst. Fast die
Hälfte der Bevölkerung hat kein nennenswertes Vermögen, wenn sich das vor Augen führt, dann
stellen sich da ganz konkrete Fragen, wenn Menschen vorm Aldi stehen und sich fragen: Was kaufe
ich noch, was kann ich mir noch leisten? Ich glaube da kommt das zusammen, aber es muss auch
immer zusammengebracht werden. Oder was Daniel ja auch angesprochen hat, ist die Frage von
Mobilität, also wie sind da eigentlich die Möglichkeiten? Ich finde diese Fragen muss man
miteinander diskutieren und die Fähigkeit sollten wir auch als Jusos nie verlieren. Man braucht eine
theoretische Schulung, ein theoretisches Rüstzeug, aber das ist eben immer nur ein Rüstzeug, das ist
ein Werkzeug für etwas, das ist kein Selbstzweck und ich glaube das darf man nicht aus dem Blick
verlieren, das müssen wir uns als Jusos immer auf die Fahne schreiben. Der andere Punkt den
Andreas angesprochen hat: Unsere Partei ist im besten Falle darauf angewiesen, dass die Jusos auch
einen Ideenüberschuss produzieren, nicht jede Idee ist wunderbar, aber es tut der Partei trotzdem
gut, diesen Überschuss zu bekommen. Manche Ideen waren sehr gut und mussten jahrelang
erkämpft werden, bevor sie in die Partei reingekommen sind, aber dann hat es eben funktioniert.
Man muss einfach beides zusammenbringen, aus Theorie und Praxis, sonst machen wir
Selbstbeschäftigung und dafür gibt es genügend andere Gruppen, dafür braucht man keine Partei
und keine Jusos.

Daniel: Konstantin findest du, dass wenn man bei den Jusos die Strukturen durchlaufen will, also sich
auch ein bisschen mehr auf Landes- und Bundespolitischer Ebene engagieren will, dass es dann eben
nicht reicht zu sagen, ich möchte die Probleme vor Ort lösen, ich möchte konkret Politik machen?
Muss man sich vielleicht, je höher man in den Strukturen steigt, auch immer mehr mit Themen
beschäftigen, die rein theoretisch bleiben und nicht immer direkt lösungsorientiert diskutiert
werden?

Konstantin: Also ich würde sagen, Gottes Garten ist groß und so ist es auch bei den Jusos, da finden
alle Tiere irgendwie ihren Platz (lacht). In den Mühlen der Ebenen, die du ja angesprochen hast, gibt
es natürlich beides. Zum einen hat man da unglaubliche Möglichkeiten auch Dinge mitzugestalten,
wir haben uns zum Beispiel im vorletzten Landesvorstand sehr intensiv mit der Frage beschäftigt, wie
wir eigentlich Hartz 4 abschaffen können und was wir alternativ an diese Stelle setzten. Das war eine
Diskussion, die unmittelbar einen Effekt hatte. Wir hatten so ein bisschen das Glück der zeitlichen
Parallelität, dass die Debatte nämlich gleichzeitig auch in der Partei stattgefunden hat, wo wir unsere
Ideen dann wunderbar mit einbringen konnten, das war superschön und total toll. Gleichzeitig
stimmt es aber natürlich auch, dass man merkt, wenn man durch die Ebenen geht: Politik kann auch
etwas Hässliches haben. Das ist glaube ich auch nicht Juso spezifisches, ich habe ähnliches auch in
der Partei erlebt, das passiert überall. Je höher man kommt, je spannender es wird, desto weniger
werden Auseinandersetzungen miteinander zielführend geführt. Ich fand es immer wichtig, gerade
bei den Jusos, sich Leute zu suchen, mit denen man etwas zusammen machen will, ich finde
Jusoarbeit war immer Teamsport und nie Einzelkämpfertum. Wenn jemand meint alles alleine
machen zu wollen, passiert es dann auch, dass er oder sie auf der Strecke bleibt. Ich fand es immer
ganz wichtig viele Mitstreiter*innen zu haben, mit denen man zusammen Projekte angeht, weil für
mich das auch das Juso sein ausmacht. Natürlich gehören auch Kämpfe zur Arbeit dazu, die
ermüdend sind, nicht zielführend, nervig, das stimmt schon. Aber dem gegenüber stehen auch ganz
viele mega schöne Erfahrungen, die man mit den Jusos machen und auch den Einfluss, den man
haben kann. Ich bin jetzt mal gespannt, wie es weitergeht, aber ich glaube die letzten Jahre waren
mit Blick auf die Jusos sehr einflussreich, womit wir glaube ich auch weitestgehend sehr
verantwortungsvoll umgegangen sind. Da wird man jetzt sehen müssen, ob das so weitergeht, oder
ob sich da was ändert, ich glaube das ändert sich gerade was, um das vorwegzunehmen, aber ich
fand das immer ein großes Privileg und dafür haben wir hart gekämpft.

Daniel: Ganz kurz zu der Diskussion, ob eine Juso Bundesvorsitzende ein Bundestagsmandat haben
sollte: Was ist deine Position dazu?

Konstantin: Ja ich habe das ja mit erkämpft, also meine Position dazu war relativ klar (lacht). Ich
glaube auch, dass wir da keine Angst vor der eigenen Courage haben sollten, aber ich bin mit der,
dass habe ich auch auf der Landeskonferenz gesagt, Performance der jungen Abgeordneten nicht
zufrieden, ich empfinde die als relativ unterirdisch ehrlich gesagt. Ich nehme sie einfach nicht wahr,
es sei denn sie schreiben irgendwelche offenen Briefe, wo sie der Ukraine sagen, was sie tun oder
lassen soll, dass befremdet mich etwas und das finde ich wenig gewinnbringend. Das kann man eben
auch anders gestalten und das läuft im Moment einfach nicht. Innerhalb einer der größten sozialen
Krisen seit Jahren in Deutschland, würde ich von jungen Abgeordneten erwarten, dass sie mehr
vorschlagen, als die Kompromisse des Fraktionsvorstandes, aber da kommt mir zu wenig. Trotzdem
glaube ich nicht, dass das per se an der Konstruktion liegt, sondern an der Art und Weise wie man
dann auch Positionen und Ämter wahrnimmt.

Daniel: Andreas, du hast dann 2014 als Landrat kandidiert und dir das Amt gegen ein altes
Schlachtschiff der CDU, welches vielleicht auch ein bisschen über seinen Zenit hinaus war, erkämpft.
Inwiefern hast du im Wahlkampf von deiner Zeit als Juso profitiert? Hätte es damals mit der
Kandidatur vielleicht gar nicht funktioniert, wenn du bei den Jusos nicht so aktiv gewesen wärst?

Andreas (überlegt etwas länger): Also als Juso lernt man ja Politik, ich glaube das kann man so sagen.
Also die frage ist ja nicht, hat mir das Juso Dasein geholfen, sondern hatte ich vorher schon Politik
gemacht? Und natürlich würde ich empfehlen, wenn die Gefahr besteht die Wahl zu gewinnen, sich
nicht zu bewerben, wenn man vorher noch keine Politik gemacht hat. Also ich hatte als Juso das
Netzwerk der jungen Menschen im eigenen Lager und kannte natürlich auch andere junge handelnde
politische Akteure, bspw. durch den Ring der politischen Jugend, der früher noch ein bisschen aktiver
war, das ist das sehr Juso spezifische. Aber ich war ja auch als Juso kommunalpolitisch tätig und wenn
man dann Ratsmitglied, Kreistagsmitglied oder auch hauptberuflicher Mitarbeiter eines MdBs oder
der NRWSPD ist, dann habe ich glaube das Glück gehabt, Politik von jeder Seite her kennengelernt zu
haben. Also sowohl ehrenamtlich wie auch hauptamtlich, sei es von Fraktions- oder von Parteiseite
oder von anderen Ebenen des staatlichen Aufbaus, da durfte ich sehr viele Erfahrungen mitnehmen.
Ob das Jusoticket im Endeffekt dazu geführt hat, dass man als Kandidat aufgestellt wurde, das weiß
ich gar nicht, ich glaube das war größtenteils der damaligen Situation geschuldet. In der Partei hat
kein Mensch an verantwortlicher Stelle auch nur im Traum daran gedacht hat, dass dieser
Wahlkampf für die Partei erfolgreich laufen könnte, ansonsten hätte man glaube ich mir die
Kandidatur nicht überlassen, das gehört glaube ich zur Wahrheit im Nachgang dazu. Konstantin hat
das damals ja auch noch verfolgt, es gab da einfach keinen anderen, weil das für aussichtslos erklärt
wurde. Was den Wahlkampf selbst angeht, da bin ich der stolzeste Juso auf der Welt, weil ein solches
Engagement der örtlichen Jusos und teils ja auch darüber hinaus für letztlich eine Person, das habe
ich weder vorher noch nachher nochmal irgendwo so beobachten dürften, also die sind bis heute
eigentlich jeden Tag zu knutschen. Die Identifikation die der Verband mit so einem Menschen, mit so
einer verantwortlichen Person, ganz öffentlich gesehen hat, das habe ich so noch nicht wieder
erfahren, dass war schon sehr grandios. Also auf die Frage hat das was gebracht? Hat das nichts
gebracht? Wo waren die Vorteile? Da muss ich sagen, meine Jusos waren ein Riesenvorteil.

Konstantin: Das will ich vielleicht noch ergänzen, weil ich damals zwar schon in Münster gewohnt
habe, aber noch oft in Siegen-Wittgenstein war. Die Wahl von Andreas gehört in meiner, mittlerweile
ja doch schon recht längeren, politischen Zeit zu einem der schönsten Erlebnisse überhaupt. Weil da
ein Juso gegen alle Wahrscheinlichkeiten auf einmal in so einer verantwortlichen Position war. Es gab
nichts zu verlieren, sondern nur sehr viel zu gewinnen und das das funktioniert hat, hätte ich mir
lange nicht vorstellen können. Ich war immer so viel dabei wie ich konnte, insbesondere im
Wittgenstein und das war ein unfassbar freudiges Erlebnis, das war der Wahnsinn.
Daniel: Andreas du hattest mir mal erzählt, am ersten Arbeitstag als neuer Landrat wärst du ins Büro
gekommen und alles wäre komplett leer gewesen, weil dein Vorgänger wohl noch alle Akte
geschreddert hatte in den letzten Minuten und dann saßt du erstmal da in einem relativ jungen Alter
in einem leeren Büro. Wie hast du dann angefangen? Wie hat sich deine Sicht auf Politik geändert,
waren da ganz oft auch Grenzen, die man vorher so vielleicht nicht gesehen hat?

Andreas: Also jetzt unabhängig von meiner konkreten Person, war das natürlich ein Generations- und
Kulturwechsel sondergleichen für die gesamte politische Kaste der Region, das habe ich selbst erst
nicht so verstanden, da brauchte ich eine gewisse Zeit für. Man hatte sich ja nicht verändert, aber
alle anderen mussten sich irgendwie ändern in der Ansprache, in den Themen, in der
Kommunikation, in allem Möglichen. Ich glaube das war, wenn ich das jetzt im Nachhinein betrachte,
für ganz viele Akteure ein herausfordernder Prozess, von heut auf morgen sozusagen eine andere
Grundüberzeugung dort sitzen zu haben, auch hätte ich ja nicht nur der Sohn, sondern fast der Enkel
des Vorgängers sein können. Das Büro, in das ich eingezogen war, hatte an dem Tag, an dem ich dort
eingezogen bin, zum ersten Mal Internetanschluss. Ich hatte vorher gesagt ich bräuchte nicht viel,
aber ein Internetanschluss, ein Rechner und ein Laptop wäre ganz nett. Da guckten mich drei Tage
vorher alle ganz hektisch an: Netzwerkanschluss hätte das Büro seit 1976 nicht gehabt, wäre auch
nicht gebraucht gewesen. Dann hast du ja schon gesagt, alle Aktenschränke waren leer, da stand
nichts drin, es war alle dem Reißwolf zum Opfer gefallen. Und hat sich das seitdem verändert? Nein,
ich glaube das hat sich noch verstärkt. Diese Funktion als Landrat, da weiß man das ist irgendwie
wichtig, aber welche Gestaltungsmöglichkeiten man hat, tatsächlich oder nur weil einem die
Möglichkeit zugesprochen wird, etwas verändern zu können, das ist viel viel größer und stärker als
ich mir das trotz der politischen Vorerfahrung vorgestellt hätte. Ich habe mir auch den Blick auf
diesen Landrat, auf diese Öffentlichkeits-, Medien- und Einzelperson nie in dieser Intensität
vorgestellt. Es gibt ja auch noch Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete und wer da alles
noch so rumläuft, aber es gibt eben nur diesen einen Landrat habe ich lernen dürfen. Abgeordnete
gibt es wie Sand am Meer, also so zwischen ein und zwei Hände voll und was die so machen und wer
nach Düsseldorf und wer nach Berlin fährt weiß auch keiner so richtig und von welcher Partei der
oder die jetzt nochmal war erst recht nicht. Aber dieser eine Landrat, der scheint in unserer ländlich
geprägten Region irgendwie nochmal eine besondere Rolle zu spielen und dadurch, dass er in der
Erwartung vieler Menschen eine besondere Rolle spielt, hat man Gestaltungsmöglichkeiten, die ich
so nicht für möglich gehalten hätte. Also eher mehr als weniger, weil ja immer so berichtet wird, dass
ist alles so schwer und kompliziert und die Zuständigkeiten und ich kann ja gar nicht machen was ich
will, das ist so der eine Blick. Der andere Blick ist, dass wir ein wirtschaftlich vielfältig tätiger Kreis
sind, wir haben ein Uniklinikum, wir haben eine Wohnungsgesellschaft und wir haben eine
Kreisbahn, das gibt es ja auch nicht überall. In diesen großen Megathemen muss man also teilweise
gar nicht in die Politik gehen, sondern kann Dinge einfach umsetzen. Also wollen wir Wohnungen
bauen oder wollen wir es lassen? Wenn der Aufsichtsratsvorsitzende der Wohnungsbaugesellschaft,
also der Landrat, sagt wir bauen Wohnungen, dann baut die Geschäftsführung jetzt Wohnungen.
Oder in der ländlichen Region ist Gesundheit und Pflege natürlich ein riesiges Thema und das wird
auch noch viel gravierender und wenn ich feststelle, wir haben kein ausreichendes Angebot an
tagesklinischen psychiatrischen Angeboten, ja dann sagt man dem Geschäftsführer, wir brauchen da
mal eine Angebotserweiterung und dann sagt der: Ja habe ich verstanden, habe ich mir notiert, dann
machen wir das jetzt mal und sind in einem halben Jahr fertig. Also ich spreche nicht von der Politik,
nicht dem Kreistag, das ist alles immer, wie auf allen Ebenen, sehr zäh, man muss Mehrheiten bilden
und machen und tun und das dauert lange. Doch diese Möglichkeiten die man als Landrat hat, diese
direkte Einflussnahme auf so viele Prozesse vor Ort, das macht man sich glaube ich von außen nicht
klar. Deswegen ist es glaube ich eher ins positive gekehrt oder erweitert worden in der Vorstellung
und nicht so sehr diese depressive Vorstellung, wie schlimm das doch alles ist und dass man doch
eigentlich gar nichts ändern kann.

Daniel: Ich glaube viele treten als junge Menschen ja auch in eine Partei ein, weil sie ein konkretes
Thema voranbringen wollen, zum Beispiel den Klimaschutz, man hat Visionen und Ideale, die man so
schnell es geht umsetzen will. Dein Plädoyer wäre jetzt also an diese Menschen, dass wir hier vor Ort
deutlich mehr umsetzen können, also man vielleicht glaubt?

Andreas: Also natürlich gibt es bundespolitische Themen die auch nur Bundespolitik entscheiden
kann, also große Sozialstaatsfragen, wenn man über Außen- und Verteidigungspolitische Themen
diskutieren will, große Arbeitsmarkt Weichenstellungen, da bin ich begrenzt. Aber nehmen wir jetzt
mal beispielhaft den Sozialstaat: Die Bundespolitik würde jetzt über Bürgergeld ja/nein diskutieren
und ich habe hier hingegen die konkrete Fragestellung, welche Kostengruppen hier als angemessen
gelten oder nicht. Also müssen 800 Leistungsbezieher sich wirklich eine neue Wohnung suchen oder
dürfen die da wohnen bleiben? Dann ist das die Übersetzung genau desselben Themas, in ganz
konkretes Handeln, was wir eben schon beschrieben haben mit: Wie wollen das Leben der Menschen
besser machen? Das macht der Bund mit jahrelangen Diskussionen über Weichenstellungen nur
bedingt und er braucht sehr lange und es ist sehr zäh und ob man dann alle trifft weiß man auch
nicht. Aber hier vor Ort kann ich binnen drei Monaten eine Vorlage erstellen, vom Kreistag
verbschieden lassen und die Leute bleiben drin wohnen. Die groß diskutieren Themen, ob das
Klimaschutz, Klimafolgenanpassung, Mobilität, Gesundheit oder Pflege ist, natürlich bin ich da auf
Rahmenbedingungen angewiesen und je besser die sind und je mehr man machen kann, umso
schöner. Ich behaupte man kann vor Ort was machen oder noch präziser: All die Themen werden vor
Ort entschieden, natürlich kann man mehr Fördermillionen für Radwege zur Verfügung stellen, wenn
wir jetzt bei nachhaltiger Mobilität sind, aber ob die Radwege auch gebaut werden oder nicht, ob
tatsächlich der konkrete Mensch vor Ort davon profitieren wird, das entscheidet Berlin letztlich
wieder nicht. Ich würde es noch überspitzter machen auf die Landesebene bezogen, die ja eigentlich
gar nichts mehr zu sagen hat, außer Schule und innere Sicherheit. Bei Schule wird man sich nicht
einig und deswegen macht man nichts und deswegen bleibt es bei Innerer Sicherheit und selbst die
könnte ich als Landrat an mich ziehen und sagen: Ich bin immer noch Behördenleiter und ich werde
auch dem einzelnen Streifenpolizisten sagen, wie er sich verhält, wonach er guckt, was ahndet und
was er lässt. Man muss aber natürlich auch nochmal betonen: Ich brauche Rahmenbedingungen die
das Ermöglichen, die Rahmenbedingungen werden natürlich im Bund und Land formuliert, dort wird
entschieden, ob sie besser zu nutzen sind oder weniger. Je länger ich in der Funktion bin, desto mehr
habe ich mich dann ja auch entschieden auch verbandspolitisch tätig zu sein, weil das natürlich ist
auch eine Aufgabe ist, die bearbeitet werden muss. Also wenn ich als Vizepräsident des
Landkreistages NRW unterwegs bin und da sowohl mit Land- oder Bundesvertretern spreche, dann
geht das jetzt mehr in diese parteiliche große Rahmenbedingungskiste, aber auch das muss aus
meiner Sicht von kommunalen Vertretern angeregt, diskutiert und vertreten werden. Damit die
Rahmenbedingungen dann auch so geändert werden, dass man unsere Positionen vor Ort auch in
konkretes Handeln münden lassen kann. Also das gehört natürlich dazu und es muss auch Menschen
geben, die sich darum kümmern, denn wenn wir da keine Verbindung hinkriegen, wird es ganz
kompliziert.

Daniel: Wie hast du das als Juso Landesvorsitzender erlebt Konstantin, welche
Einflussmöglichkeiten hat man als jemand in Jusofunktion?

Konstantin: Jusoarbeit ist glaube ich nicht das Gegenteil, aber vielleicht die andere Seite der Medaille
würde ich sagen. Man kann das in intern und extern unterteilen, diese externen Effekte, dass man
wirklich sagen kann, was Andreas jetzt beschrieben hat, dass was wir hier gemacht haben, hat einen
konkreten Effekt auf die Lebenswirklichkeit von Menschen, das ist natürlich nur eingeschränkter,
beziehungsweise mittelbar möglich. Als Juso auf dem Landesvorsitz, wo die Möglichkeiten natürlich
nochmal größer sind, ist schon ein großer Teil der Arbeit in erster Linie intern, darauf hat man am
meisten Einfluss. Aber auch das ist manchmal wahnsinnig wichtig, wie Andreas eben gesagt hat,
beides muss zusammengehören. Ich habe mir bei der Bildungsarbeit immer gedacht, wenn wir einen
Workshop gemacht haben, wo dann 20-25 Leute dabei waren und bei nur drei oder so bleibt
irgendwie was hängen, dann haben wir schon viel geschafft. Allein diese politische Bildungsarbeit,
ideologisches Rüstzeug mitzugeben oder ein Verständnis von politischen Prozessen zu vermitteln,
das ist ein Selbstzweck oder ein Wert an sich, das machen zu können, denn daraus folgt eben etwas.
Irgendwann sind die vielleicht in anderen Funktionen und erinnern sich wieder, das war mir wichtig
und da nehme ich selbst immer wahnsinnig viel mit. Ich habe gestern witzigerweise zum Beispiel mit
meinem Chef über Güterverkehr gesprochen, weil der in dem entsprechenden Ausschuss sitzt, und
da habe ich mich erinnert, dass wir bei den Jusos Wittgenstein mal ein Seminar hatten und da war
Willi Brase und sagte: Guckt euch mal die Schweiz an, die haben alles auf die Schiene gesetzt. Dann
dachte ich mir, jetzt recherchiere ich das gerade mal, also hat die Bildungsarbeit auch nach zehn
Jahren noch einen Effekt bei mir gehabt. Also Bildungsarbeit ist eine wichtige Einflussmöglichkeit, die
man als Juso haben kann, eine andere ist innerparteilich Beschlusslagen mitzuändern, Diskussionen
anzustoßen, dass ist das, was ich eben zum Ideenüberschuss gesagt habe, und da die Partei zu
treiben und zu erneuern, das ist glaube ich auch ganz wichtig und das kann manchmal sehr konkret
sein. Ich habe das eine Beispiel eben genannt, das war die ganze Debatte um Sozialstaat und Hartz 4,
wir haben 2018 damit angefangen, haben Positionen dazu erarbeitet, auch immer im Austausch mit
Bündnispartner*innen, mit den Gewerkschaften vorallendingen damals, was als Jugendorganisation
immer sehr wichtig ist. Auf dem entscheidenden Bundesparteitag, wo wir das neue
Sozialstaatskonzept beschlossen haben, haben Jessica und Almuth (zwei Jusos in führender Position
(Anm. d. Red.)) mich ständig angerufen, weil sie in Verhandlungen mit Hubertus Heil waren. Und
dann hieß es: „Das ist jetzt gerade der Kompromiss, sollen wir das machen oder nicht?“ Und da habe
ich gesagt: „Ne geht nochmal rein, reicht noch nicht“ und das war dann der sehr konkret, aber
natürlich auch intern. Ich glaube externe Jusoarbeit ist, so habe ich das immer verstanden, dass Jusos
eine Scharnierfunktion haben zwischen der Ungeduld der Straße und der Menschen, die außerhalb
der Partei organisiert sind auf der einen Seite und der manchmal sehr langsam mahlenden Ebenen
der Partei auf der anderen Seite. Das finde ich, ist so ein bisschen die Scharnierfunktion, das
aufzunehmen, zu übermitteln und dann eben in politisches Handeln zu übersetzen. Wir sind darauf
angewiesen, dass Leute zu uns kommen, weil sie das eine Projekt haben, was sie umsetzten, wollen,
aber klar ist auch: Wir können so nicht arbeiten. Wir sind als Verband zum Scheitern verurteilt, wenn
wir immer nur das eine Projekt bearbeiten, was gerade die Mehrheit hat, ich glaube als Jusos müssen
wir da immer breiter aufgestellt sein. Es geht da natürlich auch darum, Bündnisarbeit aktiver zu
betreiben. Es gibt ja jetzt dieses „Genug ist Genug“ Bündnis und ich würde sagen, in der aktuellen
Lage müsste man eigentlich ein Bündnis schmieden aus Jusos, aus Grüner Jugend, aus
Gewerkschaften, die das selbst in die Hand nehmen. Natürlich jetzt nicht wieder ein Bündnis, wo
man nur innerlinke Diskussionen führt, wer ist eigentlich Bäh und Ih und wer darf da mitmachen und
wer nicht, das bringt dann wieder nichts. Aber gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden, die
Fähigkeit zu haben, extern Druck aufzubauen, das ist immer wichtig. Die Ungeduld der Straße auch zu
übersetzen in politisches Handeln, das ist glaube ich so ein bisschen das, wo externes und internes
Handeln zusammenkommt. Aber zur Wahrheit gehört schon, dass Jusoarbeit viel intern ist und mir
der externe Effekt, insbesondere mit der Bündnisarbeit, ein bisschen gefehlt hat und das vielleicht
etwas ist, wo ich mich um Zukunft mehr drum kümmern will.

Andreas: Eine Ergänzung dazu in Form eines Bildes, wie ich es immer vor Auge habe. Wir haben ja
immer gesagt, es braucht beide Seiten, aber in meinem Bild ist es eher ein Prozesskette, wenn ich
das so beschreiben darf. Wo die Jusos, wenn wir bei denen anfangen, Positionsdiskussionen führen,
hoffentlich mit dem Ziel eine zu finden und nicht für sich selbst, wenn die Position dann gefunden ist,
mündet die ja idealerweise in die Partei, so war es zum Beispiel bei Abschaffung von Hartz 4, das
Beispiel haben wir ja schonmal bemüht, wo dann eine Parteiposition auch stark Juso geprägt ist und
zur Parteiposition wird. Das Ausgestalten der Parteiposition wird dann im Regierungshandeln
diskutiert, da käme ich in meinem aktuellen Job dazu, auch im verbandspolitischen Teil davon und
danach findet dann erst als letzter Schritt das konkrete Handeln zur Verbesserung der Verhältnisse
statt. Ich fand das Bild eigentlich immer Charmant, damit man weiß, kein Punkt für sich allein
funktioniert und jeder kann an sich Selbstzweck sein, es wird aber nur kluges politisches Handwerk,
wenn es auch über die gesamte Strecke gedacht und betrieben wird. Und ein Exkurs zum
Güterverkehr, falls du da mal einen Ansprechpartner brauchst, kann ich dir meinen Geschäftsführer
der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein sehr ans Herz legen, der ist nämlich auch verbandspolitisch sehr
aktiv bei den nichtbundeseigenen Eisenbahnen und ist güterverkehrsmäßig ziemlich gut drauf.

Konstantin(grinst): Perfekt!

Andreas (lacht): Christian Weth

Konstantin: Nehme ich direkt mit, komme ich gerne drauf zurück

Andreas: Ja, kann ich echt empfehlen, der hat echt was drauf, ist jetzt Anfang 40, also mit dem ganz
man auch noch ganz normal reden.
(alle lachen).

Daniel: Wir kommen zum Abschluss und da bietet sich natürlich zum Ende die Frage an: Wenn ihr
jetzt wieder 16 wärt und gerade in die Partei eingetreten, was würdet ihr euch selbst raten? Was für
Tipps habt ihr für junge Menschen, die jetzt neu zu uns kommen?

Andreas: Machen. Also ich sehe viele junge Menschen die sich immer Fragen über welchen Weg? So
wie wir es eben beschrieben haben, gibt es unterschiedliche Wege. Welchen will ich da einschlagen?
Engagier ich mich vor Ort? Oder Verbandsmäßig? Gehe ich zu den Jusos oder zur SPD? Lass ich mich
wählen? Lass ich mich aufstellen? Viele Fragen und ich würde als Grundtenor einfach sagen: Machen,
Ausprobieren, es passiert nichts, man wird für sich herausfinden, wenn man denn macht, was einem
mehr liegt oder wo man größere Interessen hat: Einfach Machen! Das ist die parteipolitische
Sichtweise, aber mir fällt auch auf bei richtig guten klugen Nachwuchskräften, man darf es nicht als
Karriereplanung verstehen, das geht schief aus meiner Sicht. Wenn man das inhaltlich will und das
Engagement da reinsteckt, super, aber man darf die eigentliche eigene berufliche Ausbildung und
Perspektive dabei zu keinem Zeitpunkt verlassen. Wenn das irgendwann verschwimmt und man sagt
ich mache ja Politik und brauche mich beruflich nicht weiterzubilden, den Uniabschluss, die
Ausbildung nicht fertig zu machen, das halte ich für ein immer gefährlicher werdendes Momentum.
Also wer einsteigt und sagt ich trete hier ein, um das zu meinem Beruf zu machen, da bin ich sehr
skeptisch und zurückhaltend, aber wer das macht, weil er was bewegen will, der soll einfach machen
und dabei den eigentlichen beruflichen Weg nicht völlig aus den Augen verlieren.

Konstantin: Ich kann daran anschließen, ich glaube auch, wenn ich jetzt nochmal 16 wäre, eine sehr
witzige Vorstellung übrigens, dann würde ich mich fragen, was will ich politisch machen, also warum
mache ich das und mir darüber vielleicht klar werden. Manchmal ergibt sich das eben aber auch im
aktiv sein und ich glaube es reicht auch erstmal Teil dieser Gemeinschaft sein zu wollen, einfach
einzutreten, das ist schon ein extrem untrivialer Schritt, aber ein guter Schritt. Dann kann man
gucken welche Möglichkeiten es überhaupt gibt und die wahrnehmen, woran man Spaß hat. Man
sollte aber immer auch offen sein für neue Themen, ich glaube wir kranken manchmal daran, dass
wir unser eigenes Ding machen wollen, wo wir selbst betroffen sind. Ich glaube spannend wird es ja
vor allem da, wo man offen ist sich in Themen reinzuarbeiten, wo man eigentlich überhaupt keine
Berührungspunkte mithat, auch weil man Politik nicht nur für sich selbst macht, sondern immer für
andere, das finde ich ganz wichtig.

Andreas: Arbeitsgemeinschaften abschaffen!
(Alle anderen lachen)

Konstantin (lacht): Damit können wir Andreas jetzt zitieren.

Konstantin: Nein ich finde das wirklich wichtig, dass ist keine gute Entwicklung, dass viele heute nur
noch ihr eigenes Herzethema machen wollen, das hilft uns nicht, deswegen offen sein für andere
Themen. Was ich vorhin sagte, was für mich ganz wichtig war, mein Learning: Immer
Mitstreiter*innen suchen, immer Leute suchen, mit denen man was zusammen machen will, weil ich
glaube, dass politisches Engagement immer auch viele Frustmomente bereithält und die übersteht
man besser, wenn man Leute um sich herumhat, die man mag und mit denen man gerne was
zusammen macht. Ich will auch unterstreichen, was Andreas eben gesagt hat, Juso sein oder generell
politisches Engagement, ist keine Berufsausbildung, sondern Ehrenamt, das soll es auch bleiben. Da
steckt man viel Herzblut rein, das ist anstrengend genug, das sollte man sich nicht noch schwerer
machen als es ist, aber es ist eben Ehrenamt, das sollte man glaube ich auch immer vor Augen haben.

Daniel: Vielen Dank an euch beide für eure Zeit und die vielen großartigen Gedanken!

Kategorien: Vorstand

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